Eine prächtige Blumenwiese ist ein kleines Ökosystem in sich. Damit Bienen, Hummeln, Schmetterlinge oder Vögel davon profitieren können, gilt: Je grösser die Vielfalt, desto besser.
Eine artenreiche Blumenwiese ist voller Leben: Sie ist farbig, und überall summt, schwirrt, brummt, zirpt, krabbelt oder kriecht es. In der Schweiz leben mehr als die Hälfte aller Pflanzenarten im Ökosystem Wiese, dem Lebensraum zahlreicher Tierarten. Ähnlich wie ein Haus lässt sich eine Blumenwiese in verschiedene Stockwerke einteilen: Ganz unten ist die Bodenschicht, wo Käfer, Würmer, Ameisen, Mäuse, Maulwürfe und viele kleine Mikroorganismen am Werk sind. Danach folgt die Streuschicht. Hier tummeln sich Käfer, Grillen, Schnecken, aber auch Eidechsen, Blindschleichen und Frösche. In der Blatt- und Stängelschicht leben Spinnen, Heuschrecken, Raupen, Wanzen und Marienkäfer.
Und ganz oben in der Blütenschicht suchen Bienen, Hummeln, Glühwürmchen oder Schmetterlinge Nahrung und Unterschlupf. Im Ökosystem Wiese sind Pflanzen und Lebewesen ein eingespieltes Team: Alle haben eine Funktion und verschiedene Vorlieben. Manche sind auf bestimmte Pflanzen angewiesen, andere wiederum sind weniger wählerisch. Grundsätzlich gilt: Je grösser die Vielfalt der Pflanzen auf der Wiese, desto mehr Lebewesen finden darauf einen Lebensraum.
Viele artenreiche Blumenwiesen verschwinden
Naturschutzorganisationen beobachten allerdings, dass in den vergangenen Jahrzehnten in der Schweiz 90 Prozent dieser einzigartigen Blumenwiesen verschwunden sind – und damit auch 75 Prozent der Insekten. Eintönige Graswiesen, stark genutzte landwirtschaftliche Flächen, verbaute Flächen und Strassen prägen heute zunehmend das Landschaftsbild.
Selbst in privaten Gärten und rund um Wohnsiedlungen dominieren monotone Spiel- und Sportrasen und für Insekten nutzlose Hecken mit Thuja, Bambus oder Zierpflanzen. Ebenfalls im Trend sind Steingärten und exotische Pflanzen, die kaum Wert für einheimische Tiere haben. Kein Wunder nimmt die Zahl der Arten dramatisch ab. Doch alle Pflanzen und Tiere spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem, insbesondere die Insekten – einerseits dienen sie vielen Arten wie Vögeln, Fröschen oder Fledermäusen als Nahrung. Gleichzeitig ist ein grosser Teil der Nutzpflanzen von bestäubenden Insekten abhängig. Ohne sie würde es grosse Ernteausfälle geben, vor allem bei Obst und Gemüse. Demzufolge steht mit dem Insektenschwund die Ernährungssicherheit von Mensch und Tier auf dem Spiel. Der Druck auf die Natur ist gross: Der Schutz, die Aufwertung, der Erhalt und auch Neuanlagen von artenreichen Blumenwiesen sind die Lebensgrundlage von uns allen. Tragen wir Sorge dazu.
Auch auf einem kleinen Balkon
Schaffen Sie Vielfalt durch Pflanzen wie Blumen, Kräuter und Gemüse, um Nahrung und Lebensraum für Insekten zu bieten. Integrieren Sie Nistkästen und Insektenhotels für Schutz und Brutstätten. Vermeiden Sie Pestizide und fördern Sie natürliche Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge.
Sonja Hassold
Biologin und Botanikerin
Sterile Gärten und Monokulturen auf den Feldern: Sind wilde Blumenwiesen vom Aussterben bedroht?
Ich hoffe nicht! Der Bund hat zwar im Jahr 2010 eine Verordnung zum Schutz dieser Flächen verabschiedet, doch noch immer verschwinden jährlich viele Hektaren wertvoller Blumenwiesen. Dabei hat nicht nur die Landwirtschaft Verbesserungspotenzial. Auch öffentliche Grünflächen, private Gärten, Strassen- und Bahnböschungen können viel zum Erhalt vielfältiger Lebensräume beitragen, wenn sie entsprechend geplant, angelegt und gepflegt werden.
Können Sie Beispiele für interessante Wechselwirkungen im Blumenwiesen-Ökosystem geben?
Eine Rolle spielt, zu welchem Zeitpunkt eine Wiese gemäht wird. Die ganze Saison blühen unterschiedliche Pflanzen, die wiederum für andere Arten Nahrung bieten. Werden – wie vielerorts in der Schweiz – alle Blumenwiesen ab Mitte Juni gemäht, wird vielen Lebewesen gleichzeitig der Lebensraum genommen. Unzähligen Insekten wird auf einem Schlag die Nahrungsgrundlage entzogen. Wichtig wäre daher ein Schnittregime, das allen eine Chance bietet. Auch jenen, die sich erst später entfalten.
Was kann eine Einzelperson tun, um die Biodiversität zu fördern?
Wir alle können mit unserem Handeln wichtige Beiträge leisten – etwa indem wir bei politischen Abstimmungen unsere Stimme der Natur geben, Freiwilligeneinsätze leisten und unser Konsumverhalten optimieren. Wer einen Garten, einen Balkon oder ein Fenstersims hat, kann selbst auf kleinster Fläche ein Paradies für Insekten und Co. schaffen und so die Artenvielfalt fördern.