Gute Vorsätze gehören zu Silvester wie das Feuerwerk oder Fondue chinoise. Psychologin Dr. Julia Weber erklärt, warum viele an ihrem Vorhaben scheitern – und weshalb man bei Vorsätzen unbedingt auf seine Gefühle hören sollte.
Dr. Julia Weber
Psychologin
Dr. Julia Weber, ist der Jahreswechsel ein guter Zeitpunkt, um Vorsätze zu fassen?
Das ist sehr individuell. Die Symbolträchtigkeit des Datums kann durchaus einen positiven Einfluss haben. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass der Vorsatz dann auch in die Tat umgesetzt wird.
Fassen Sie selber auch Neujahrsvorsätze?
Nein, das tue ich nicht. Und das ganz einfach aus dem Grund, weil die klassischen Vorsätze in der Regel nicht funktionieren.
Was ist falsch am Vorhaben, mehr Sport zu machen oder weniger Alkohol zu trinken?
Am Vorhaben per se ist nichts falsch. Das Problem ist, dass diese Formulierungen von unserem innerpsychischen System oftmals nicht mitgetragen werden. Und genau deshalb funktionieren diese Pläne meist nicht – oder zumindest nicht auf Dauer. Das Einzige, was bleibt, ist ein schlechtes Gewissen.
Was meinen Sie mit dem «innerpsychischen System»?
Unser Gehirn besitzt zwei Systeme. Im einen sitzt der Verstand, im anderen das Unbewusste. Letzteres kommuniziert in erster Linie über Gefühle, über sogenannte somatische Marker. Im Alltag werden diese oft auch als Bauchgefühl bezeichnet. Basierend auf positiven oder negativen Erfahrungen aus der Vergangenheit entscheidet dieses darüber, wie wir eine bestimmte Situation wahrnehmen und bewerten.
Und was hat das nun genau mit meinen Neujahrsvorsätzen zu tun?
Ganz einfach: Beim Fassen von neuen Vorsätzen sollte man nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf sein Unbewusstes hören. Letzteres zeigt uns zuverlässig, ob uns etwas guttut oder nicht.
Wie merke ich, was mein Unterbewusstsein meint?
Positive Gefühle zeigen an, dass das Unbewusste mit einem Vorhaben einverstanden ist. Negative Gefühle zeigen an, dass es das nicht ist. Diese Gefühle können sich zum Beispiel über einen Kloss im Hals, eine flache Atmung oder eine Leichtigkeit im Herzen äussern. Bilder und Worte spielen bei der Bewertung des Unbewussten eine entscheidende Rolle.
Was bedeutet das in Bezug auf Vorsätze?
Achten Sie darauf, dass die Vorsätze keine negativen Worte wie «nicht», «kein» oder «ohne» enthalten. Wer sich vornimmt, sich «nicht mehr so oft aufzuregen» oder «nicht mehr zu rauchen», wird mit grosser Wahrscheinlichkeit scheitern. Das Unbewusste bebildert jedes Wort, doch für Ver-neinungen gibt es keine Bilder. Machen Sie den
Selbstversuch und versuchen Sie, jetzt nicht an einen rosaroten Elefanten in einem Tutu zu denken.
Unmöglich.
Eben. Viele Leute sind sich nicht bewusst, was Worte auslösen können.
Wie setze ich mir sinnvolle Ziele für das neue Jahr?
Wer sich vornimmt, mehr Sport zu machen, dabei aber von Anfang an ein schlechtes Gefühl mit dem Wort Sport hat, verbindet womöglich negative Erinnerungen damit. In diesem Fall könnte man das Wort Sport mit Bewegung oder Auslauf ersetzen – das sorgt bereits für ein anderes Gefühl.
Wie finde ich die passenden Formulierungen?
Das lässt sich sehr gut erlernen. Das Zürcher Ressourcen-Modell, auf dem unsere Arbeit am Institut für Selbstmanagement und Motivation aufbaut, hat verschiedene wissenschaftlich basierte Methoden dafür entwickelt. Eine Methode, wie die Bewertung von Verstand und Unbewusstem miteinander in Einklang gebracht werden kann, lässt sich über ein Online-Tool auf unserer Website kostenlos testen. Dabei wird mithilfe des Unbewussten eine neue Haltung zum Verstandesthema formuliert.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Diese Haltungen sind sehr individuell, metaphorisch und bildhaft, da ja das Unbewusste über Bilder kommuniziert. Für das Thema «Umgang mit Stress» formulierte eine Person mit dem Bild des Bären «Gelassen bäre ich mein Leben und gönne mir Honigpausen». Für das Thema «Gesundheit» hatte eine andere Person das Bild eines Baumes: «Ich beschütze meine Wurzeln und lebe in natürlicher Leichtigkeit».
Könnte man nicht einfach seine Willensstärke trainieren, um seine Vorsätze umzusetzen?
Kurzfristig kann die Selbstkontrolle gut funktionieren. Wenn Sie zum Beispiel morgen zum Zahnarzt müssen, hilft eine gewisse Selbstdisziplin. Bei Themen, die langfristig unseren Alltag betreffen, würde ich mich jedoch nicht auf die Selbstkontrolle verlassen – nur schon Ihrer Gesundheit zuliebe.
Wie meinen Sie das?
Wenn man dauerhaft gegen die eigenen Gefühle ankämpft, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man auf Dauer krank wird. Das belegen nicht zuletzt die Burn-out-Zahlen, die seit Jahren in die Höhe gehen.
Nach unserem Gespräch bin ich unsicher: Soll ich mir nun Vorsätze fassen oder besser ganz darauf verzichten?
Wichtig ist, dass Sie sich nicht zu viel auf einmal vornehmen. Die Balance ist wichtig – und kleinere Schritte bringen langfristig mehr Erfolg. Was mir ebenfalls am Herzen liegt: Wir können und müssen nicht perfekt sein. Ich zum Beispiel brauche ganz viel «Faulzeit», um mich zu erholen. Nicht alle müssen Yoga praktizieren oder einen Marathon rennen.
Die heutige Leistungsgesellschaft vermittelt ein anderes Bild.
Tatsächlich ist unsere Gesellschaft sehr stark vom Verstand bestimmt. Social Media haben diese Entwicklung zusätzlich verstärkt. Ich empfinde den Selbstoptimierungs-Hype als eine Plage, was garantiert nicht gesund ist.
Zur Person
Dr. Julia Weber ist Geschäftsführerin des Instituts für Selbstmanagement und Motivation Zürich (ISZM), eines Spin-offs der Universität Zürich. Die promovierte Psychologin und zertifizierte ZRM-Trainerin (Zürcher Ressourcen-Modell) ist Autorin des Buches «Ich fühle, was ich will – Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern». Weitere Infos auf ismz.ch.