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Ratgeber / Kind & Familie

Wenn die eigenen Eltern «alt» werden

24.02.2022 / von 

Es ist ein schleichender Prozess: Irgendwann sind die Personen, die uns grossgezogen haben, selber auf Fürsorge angewiesen. Wie man damit am besten umgeht, erklärt Willy Keller, Leiter des Alterszentrums Mellingen-Wohlenschwil in Mellingen.

Willy Keller
Früh in der Familie über das Alter und die damit verbundenen Entwicklungen zu sprechen, lohnt sich.

Willy Keller

Leiter Alterszentrum Mellingen-Wohlenschwil

Herr Keller, was bedeutet es für die erwachsenen Kinder, wenn die eigenen Eltern plötzlich «alt» werden?

Der altersbedingte Verlust von Kraft, Vitalität und Ausdauer trifft uns alle früher oder später und kann für die Familie eine Herausforderung darstellen. Wenn zum Beispiel die Grossmutter, die früher immer so unternehmenslustig und aktiv war, auf einmal keine Nerven mehr für ihre Enkel und Urenkel hat, ist das für alle Beteiligten eine anspruchsvolle Situation.

Wie sollte man mit solchen Themen umgehen?

Je früher in der Familie über das Alter und die damit verbundenen Entwicklungen gesprochen wird, desto besser. Auch wenn es nicht immer leichtfällt: Diskussionen über wichtige Themen wie Vollmachten und Patientenverfügungen sollte man führen, solange die Eltern noch geistig fit sind und selbst Entscheidungen treffen können. Nur so besteht die Chance, mit ihnen auf Augenhöhe über ihre Sorgen und Bedürfnisse zu sprechen. Tut man dies erst, wenn die Eltern bereits gebrechlich und krank sind, ist es oft schon zu spät.

Was, wenn jemand keine Energie mehr hat, um seine betagten Angehörigen zu betreuen?

Der wichtigste Appell überhaupt: Lasst euch helfen! Wenn jemand seine betagte Mutter zu Hause betreut und dabei kurz vor dem Zusammenbruch steht, ist niemandem gedient. Es gibt zahlreiche Hilfsangebote – und es ist völlig in Ordnung, diese zu nutzen. Je länger die pflegenden Angehörigen warten, sich Hilfe zu holen, desto mehr entsteht ein Bruch zwischen den beiden. Es lohnt sich deshalb, frühzeitig Unterstützung zu holen und dabei auch den Eintritt in ein Alters- oder Pflegeheim zu prüfen.

Warum fällt gerade dieser Schritt vielen so schwer?

Für die Betroffenen handelt es sich dabei um den letzten Umzug. Wenn die Angehörigen ihre Eltern ins Altersheim bringen, haben sie oft das Gefühl, sie würden ihre Eltern abschieben. Zudem haben viele Menschen Mühe, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Ein Thema, das beim Eintritt in ein Pflegeheim jedoch unweigerlich aufkommt. Als weitere Herausforderung kommt hinzu, dass sich die Angehörigen untereinander häufig nicht einig sind. Für uns als Institution macht das die Sache natürlich nicht einfacher.

Auch ohne Krankheiten wird die Welt im Alter kleiner. Was sollten erwachsene Kinder im Umgang mit ihren Eltern beachten?

Eine gesunde Devise lautet: Weniger ist mehr. In den persönlichen Beziehungen sollte nicht die Quantität, sondern die Qualität im Fokus stehen. Wer seine Eltern einmal pro Woche im Pflegeheim oder in der Alterswohnung besucht, muss sich nicht immer ein aufwendiges Unterhaltungsprogramm zusammenstellen.

Woher kommt dieser Drang zur «Dauerbespassung»?

Zum Teil handelt es sich dabei um eine Art Überkompensation. Die Kinder denken sich: Wenn ich meine Eltern schon so selten besuchen kann, muss ich ihnen zumindest so viel wie möglich bieten. Dieser Anspruch kann jedoch zur Überforderung und Überlastung führen – und zwar auf beiden Seiten.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Manchmal reicht es schon, miteinander einen Kaffee zu trinken oder gemeinsam einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Und wenn Ihnen und Ihren Angehörigen gerade danach ist, dürfen Sie auch einfach nur nebeneinander sitzen und miteinander schweigen. Man sollte stets genügend Ruhepausen einplanen. Auf lange Sicht gesehen, ist eine solche Herangehensweise viel nachhaltiger.

Wie kann man als erwachsenes Kind sonst noch Rücksicht auf die Bedürfnisse der betagten Eltern nehmen?

Wichtig ist, dass wir uns der Situation unserer Eltern anpassen – dies zum Beispiel in der Geschwindigkeit, dem Sprechtempo und der Lautstärke. Doch aufgepasst: Man muss also nicht alle Senioren anschreien – und man sollte auch nicht per se übertrieben langsam sprechen. Das kann gekünstelt oder auch herablassend wirken. Die Bedürfnisse sind von Person zu Person unterschiedlich. Sich dessen bewusst zu sein, ist ein Schlüsselaspekt zu einer gelungenen Beziehung zwischen Jung und Alt.