Viele Männer schlittern in der Mitte des Lebens in eine Krise: Psychologe Andreas Walther erklärt, warum Männer besonders häufig von der Midlife-Crisis betroffen sind.
Andreas Walther
Oberassistent für Wissenschaft und Lehre
Andreas Walther, warum geraten so viele Männer in der Lebensmitte in die Krise?
Krisen gibt es in jeder Lebenszeit. Es ist aber in der Tat so, dass bei vielen Männern im mittleren Alter eine Zeit voller Zweifel, Sorgen und Ängste beginnt. Einer der Hauptgründe ist wohl der Übergang von der Jugend zur Mitte des Lebens. In jungen Jahren sind viele Männer damit beschäftigt, ihre Karriere aufzubauen, ihre Beziehungen zu festigen und ihre Identität zu formen. Mit zunehmendem Alter können sich jedoch die Prioritäten und Werte ändern, was zu Unsicherheit und Zweifeln führen kann.
Und zusätzlich kommen noch die körperlichen Veränderungen dazu.
Genau. Wir spüren je länger, je mehr, dass wir älter werden. So nimmt bei den meisten Männern ab circa 40 Jahren das Sexualhormon Testosteron um 1 bis 3 Prozent pro Jahr ab, was sich in einer geringeren Vitalität, einer reduzierten Libido oder auch einer schlechteren Körperkonstitution bemerkbar macht. Wir alle kennen ab einem gewissen Alter das Bauchfett, das man kaum mehr wegbringt.
Aber das ist doch ganz normal.
Natürlich. Und trotzdem kann es schwierig sein, wenn die Leistungsfähigkeit plötzlich ab- und körperliche Gebrechen langsam zunehmen. Man beginnt zu realisieren, dass die Zeit, die einem noch bleibt, endlich ist.
Ist dies der Moment, wenn sich Männer – salopp formuliert – ein Motorrad zulegen oder eine jüngere Freundin suchen?
Die sogenannte Midlife-Crisis ist mit vielen Klischees behaftet. Aber es stimmt: Bei Männern führt die Krise nicht selten zu radikalen Brüchen. Das liegt oftmals an den vorhandenen Rollenbildern. Viele Männer orientieren sich an traditionellen Männlichkeitsideologien, die im Grunde genommen aussagen, dass der Mann die Kontrolle behalten und dominant sein sollte. Ein solches Verständnis kann jungen Männern durchaus Orientierung und Struktur geben – im schlechteren Fall führt es hingegen zu dysfunktionalem Verhalten, das mit dem Begriff «toxische Männlichkeit» in Zusammenhang gebracht wird.
Gibt es typische Alarmzeichen, die auf eine Krise hindeuten?
Bei Männern äussern sich Krisen häufig durch Unzufriedenheit, Hilflosigkeit, Einsamkeit oder Frust. Die Symptome reichen von Schlafproblemen, Konzentrationsschwierigkeiten über Appetitverlust bis hin zu Suizidgedanken. Spezifisch bei Männern zeigen sich Krisen zudem häufig in sogenannten externalisierenden Symptomen wie einem erhöhten Alkoholkonsum, Anspannung, Reizbarkeit oder einer erhöhten Risikobereitschaft. Auch verbale oder sogar physische Wutausbrüche können auftreten. Das sind klare Zeichen dafür, dass man sich professionelle Hilfe suchen sollte.
Leiden auch Frauen unter einer Midlife-Crisis?
Auch Frauen machen in der Lebensmitte herausfordernde Phasen durch. Ein Vorteil, den Frauen aber gegenüber den Männern haben: Sie tauschen sich generell mehr mit anderen aus und suchen sich schon früher Hilfe.
Muss der Übergang in die zweite Lebenshälfte notwendig krisenhaft verlaufen?
Nein, wir müssen die Midlife-Crisis nicht einfach als notwendige Entwicklungsaufgabe betrachten. Es gibt ganz viele Männer, die entspannt und «geschmeidig» durch diese Lebensphase kommen.
Wie gelingt das?
Wer seine persönlichen Ziele und Werte klar für sich bestimmt hat, stösst auf weniger Konfliktpotenzial. So können für einen Mann, der sich zum Ziel gesetzt hat, ein freies und aufregendes Leben zu führen, das Motorrad und die junge, dynamische Partnerin genau das Richtige sein. Jedoch sind Gelassenheit oder Dankbarkeit viel öfter zielführend. Wer sich eingestehen kann, dass es vielleicht nicht mehr zum Marathon reicht, dafür aber zum Halbmarathon oder gar «nur» noch zur Wanderung mit seinen Kindern oder Enkeln, hat gute Karten.
Sie meinen, man sollte sich im Alter etwas mehr auf seinen Lorbeeren ausruhen?
Wer die körperliche und psychische Veränderung akzeptiert und sie nicht per se als Gefahr, sondern als Herausforderung sieht, hat schon viel erreicht. In vielen Fällen gelingt dies übrigens: Die Glückskurve geht bei den meisten Männern ab 50 wieder nach oben. Die zweite Lebenshälfte kann durchaus erfüllend sein.
Was empfehlen Sie Männern, um möglichst entspannt durch die Lebensmitte zu kommen?
Das Leben verläuft nicht immer wunschgemäss. Umso wichtiger ist es, dass man sich traut, sich mit unangenehmen Gefühlen und Erfahrungen auseinanderzusetzen. Leider sprechen noch immer viele Männer kaum mit anderen über Gefühle. Dabei kann es ungemein hilfreich und wertvoll sein, wenn man sich mit anderen Männern auch über schwierige Themen austauschen kann. Das kann zum Beispiel beim gemeinsamen Feierabendbier oder – noch besser – beim Sport sein.
Toxische Männlichkeit
Toxische Männlichkeit bezeichnet ein schädliches Verhalten, das auf einem traditionellen, patriarchalen Männerbild basiert. So werden zum Beispiel Eigenschaften wie übersteigertes Konkurrenzdenken, dominantes oder sogar aggressives Auftreten mit toxischer Männlichkeit in Verbindung gebracht. Ein solches Verhalten führt häufig zur Diskriminierung anderer Geschlechter sowie Homo- und Transfeindlichkeit. Fachleute sind sich einig, dass das Ausüben dieser Denk- und Verhaltensweisen meist der Sozialisation geschuldet ist. So herrscht vielerorts immer noch die Meinung, dass Männer weder Gefühle noch Schwäche zeigen dürfen. Letztlich schaden die Männer mit einer toxischen Art damit nicht nur andern, sondern auch sich selbst. Dies zum Beispiel, weil sie seltener Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie sich psychisch belastet fühlen.
Zur Person
Dr. Andreas Walther (34) ist Oberassistent für Wissenschaft und Lehre an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Zürich. Zudem ist er als klinischer Psychotherapeut im Ambulatorium für kognitive Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin des Psychotherapeutischen Zentrums der Universität Zürich tätig. Sein primärer Forschungsbereich ist die Förderung der psychischen Gesundheit von Männern mittels männerspezifischer Psychotherapie sowie männerspezifischer Pharmakotherapie (z.B. Testosterontherapie).