Geht es um die Wechseljahre, denkt man meistens an Frauen um die fünfzig – aber auch Männer sind davon betroffen. Das Absinken der Sexualhormone kann für das «starke Geschlecht» zur Herausforderung werden.
Wenn es bei Männern auf die Lebensmitte zugeht, kommt auf den Körper eine grosse Veränderung zu. Die sexuelle Lust nimmt ab, die Muskelmasse bildet sich zurück, das Bauchfett nimmt zu und die Knochendichte wird kleiner. Der Grund dafür liegt in der verminderten Menge an Testosteron. Das Sexualhormon bildet sich zurück, was eine Reihe von Beschwerden zur Folge hat. Schlafstörungen, Gewichtszunahme trotz unverändertem Lebensstil oder Müdigkeit können weitere Symptome sein. Sie können sich auch im seelischen Bereich zeigen. Sich zu konzentrieren fällt schwerer, die Nervosität nimmt zu und bei manchen Männern in den Wechseljahren fährt die Stimmung regelrecht in den Keller.
Bei Männern schleichend, bei Frauen schubweise
Hitzeschübe, Depressionen, Erschöpfung – bei Frauen in den Wechseljahren treten die Symptome in heftigen Schüben auf. Der Grund dafür liegt in
der Art und Weise, wie sich der weibliche Hormonspiegel senkt. Bei Frauen geht der Östrogenspiegel schubweise zurück, was zu deutlich spürbaren Aus-
wirkungen führt. Anders beim Mann: Bereits ab dem Alter von 30 Jahren produziert der Körper jedes Jahr kontinuierlich etwas weniger Testosteron. Dieses langsame Absinken des Sexualhormons sorgt dafür, dass der männliche Körper sich besser anpassen kann und die Anzeichen für die Wechseljahre weniger abrupt ausfallen.
Wechseljahre sind keine «Midlife-Crisis»
In den gleichen Lebensabschnitt wie die Wechseljahre fällt die berüchtigte «Midlife-Crisis». In der Mitte des Lebens drängt auf einmal die Frage nach dessen Sinn in den Vordergrund. Wo stehe ich im Leben? Habe ich erreicht, was ich wollte? Bin ich glücklich? Die einen fühlen sich gefangen im beruflichen Hamsterrad, andere hinterfragen ihre Beziehung oder brechen aus dem Alltagstrott aus, indem sie mit einer waghalsigen Freizeitbeschäftigung beginnen.
Diese Phase der Unzufriedenheit und erneuten Suche betrifft zahlreiche Männer – auch jene, die nicht unter den Wechseljahren leiden. Sie ist aber aus medizinischer Sicht nur schwer zu beschreiben – im Gegensatz zu den Wechseljahren, deren Ursache direkt mit den hormonellen Veränderungen zu tun hat.
Symptome lassen sich behandeln
Für Männer, die unter den Symptomen der Wechseljahre leiden, steht eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dabei hängt die Therapie stark von den auftretenden Beschwerden ab. Wer unter einer eingeschränkten Sexualfunktion leidet, kann diese mit potenzsteigernden Mitteln angehen. Diese Präparate können jedoch ernsthafte Nebenwirkungen haben. Ein steter Austausch mit dem behandelnden Arzt ist deshalb sinnvoll. Lassen sich die Symptome tatsächlich auf einen Hormonmangel zurückführen, kann der Arzt eine Hormonersatztherapie in Erwägung ziehen.
Ein natürlicher Weg, die Produktion von Testosteron anzukurbeln, ist zum Beispiel Sport. Viel Bewegung und eine gesunde Ernährung können zudem helfen, mit Müdigkeit oder einer Gewichtszunahme besser zurechtzukommen. Ausserdem können pflanzliche Mittel bei Schlafstörungen lindernd wirken. Beispielsweise helfen Präparate mit Hopfen oder Baldrian beim Einschlafen ebenso wie ein Melissentee. Leidet die Psyche oder haben die Wechseljahre negative Auswirkungen auf die Beziehung, kann auch eine Paarberatung hilfreich sein. Beiden Partnern werden die Folgen der Veränderungsprozesse erklärt und ein Umgang mit diesen normalen Alterserscheinungen wird trainiert.
Stimmungsschwankungen sind okay
Männer in den Wechseljahren leiden oft unter deren psychischen Auswirkungen. Die Belastung ist umso grösser für den Mann, wenn er sich mit dem traditionellen Geschlechterbild identifiziert, in dem er die Rolle «des Starken» einnehmen soll. Das hat zur Folge, dass es sich viele Männer im Veränderungsprozess gar nicht erlauben, ärztliche Hilfe zu suchen. Dabei können innere Unruhe und Stimmungsschwankungen gut behandelt werden, auch mit Präparaten auf pflanzlicher Basis. Johanniskraut zum Beispiel hat sich bei Verstimmungen und Missmut sehr gut bewährt. Und manchmal kann es auch helfen, wenn man das Gespräch mit einem guten Freund oder einer Vertrauensperson sucht. Darüber sprechen hilft – das gilt auch bei den Wechseljahren des Mannes.
Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello
Entwicklungspsychologin und emeritierte Professorin Universität Bern
Seit wann kennt man die Wechseljahre beim Mann?
Das Phänomen wurde bereits 1910 vom Neurologen Kurt Mendel aufgegriffen, der einen wissenschaftlichen Artikel über das Absinken des Testosterons und die verringerte Libido beim Mann verfasste. Aktuell wurde das Thema dann wieder in den 90er-Jahren, im Zusammenhang mit der längeren Lebenserwartung und einem Diskurs über die traditionellen Geschlechterrollen.
Der Begriff der Wechseljahre beim Mann ist umstritten. Weshalb?
Es gibt Mediziner, welche diese Bezeichnung ablehnen. Tatsächlich gibt es beim Mann im Gegensatz zur Frau keine klare Trennung zwischen «vor den Wechseljahren» und dem «Danach», da der Prozess sehr schleichend verläuft – und auch nicht bei allen Männern stattfindet.
Wie gehen Männer mit den Veränderungen um?
Wer sich zu stark über seine Geschlechterrolle definiert, beginnt nun mit Fitness bis zum Umfallen, geht zum Schönheitschirurgen oder nimmt Hormoncocktails zu sich. Dieser Stress wäre eigentlich nicht nötig, da viele Zeichen des Älterwerdens bei Männern nachweislich als interessant wahrgenommen werden, während sie bei Frauen eher negativ besetzt sind.