Mit Neugier und Geduld in den Ruhestand

Frau Ulrich, Sie sind 63 Jahre alt. Wie stark befassen Sie sich mit Ihrem beruflichen Ruhestand?

Ich habe schon vor einiger Zeit einen Ausstiegsplan für mich definiert. Wichtig ist mir, dass der Wechsel nicht von heute auf morgen geschieht. Das ist der Vorteil, wenn man selbstständig erwerbend ist. Ich habe mich für eine sanfte Variante entschieden.

Was meinen Sie damit?

Das bedeutet zum Beispiel, dass ich schon heute etwas weniger arbeite und grundsätzlich nur noch Aufträge annehme, die mir persönlich Freude bereiten. Klar ist für mich auch, dass ich über meine ordentliche Pensionierung hinaus arbeiten und mein Pensum schrittweise verringern werde.

Nicht alle haben das Privileg, ihren Ausstieg so flexibel zu planen. Wie schliesst man mit seiner letzten Arbeitsstelle am besten ab?

Ideal ist, wenn man seine fachlichen und persönlichen Stärken bis zum Schluss einsetzen kann. Das ist nicht nur für die betroffene Person erfüllend, es lohnt sich auch für das Unternehmen. Ältere Mitarbeitende verfügen meist über viel wertvolles Know-how – dieses sollte unbedingt genutzt und gezielt weitergegeben werden. Schade finde ich, wenn jemand in den letzten Jahren nur noch Routinejobs erledigt und die Wochen bis zur Pensionierung zählt.

Irgendwann ist der Tag X da. Wie gelingt es, entspannt in den Ruhestand zu starten?

Damit der Übergang gelingt, ist es ratsam, sich schon vor der Pensionierung Gedanken über die Zeit danach zu machen. Dabei stehen zwei Aspekte im Fokus: Einer betrifft das Finanzielle. Spätestens mit 57 Jahren sollten Sie sich über ihre finanziellen Vorsorgeziele im Klaren sein. Der zweite Aspekt betrifft das Sozialleben: Persönliche Beziehungen gewinnen im höheren Alter zunehmend an Bedeutung – das gilt gerade auch für Singles. Wer seine Freundschaften über lange Zeit vernachlässigt, läuft Gefahr, im Alter plötzlich allein dazustehen.

Ein Vorteil der Pensionierung: Man braucht keinen Wecker mehr.

Jein. Gerade wenn man einen physisch oder auch mental anstrengenden Job hatte, ist es völlig okay, für einige Zeit auszuschlafen und das «süsse Nichtstun» zu geniessen. Nach einer Weile – man spricht etwa von zwei Jahren der Neuorientierung – sollte man jedoch wieder einen Rhythmus finden. Auch nach der Pensionierung lohnt es sich, sich körperlich und geistig fit zu halten und sich sinnvoll zu engagieren.

Was empfehlen Sie?

Wer aktiv am Tagesgeschehen teilnimmt und regelmässig die Zeitung liest, bleibt am Ball. Auch Jassen ist zum Beispiel super fürs Gehirn und das soziale Wohlbefinden. Wichtig scheint mir, dass man etwas findet, woran man Freude hat. Manche wandern gerne, andere sind lieber mit dem Velo unterwegs. Nehmen Sie sich Zeit, die eigenen Interessen und Bedürfnisse herauszufinden. Neugier und Geduld sind zwei wichtige Eigenschaften für einen gelungenen Start in die nachberufliche Zukunft.

Welche Herausforderungen bringt die Pensionierung für Paare mit sich?

Die Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente kommen, sind von Natur aus Individualisten. Wir haben gelernt, auf unsere eigenen Bedürfnisse zu achten. Insofern sind die Zeiten, in denen ein Ehepaar quasi symbiotisch zusammenlebt, tendenziell vorbei. Heute gilt es, Interessen zu finden, denen man gemeinsam nachgehen kann. Dafür braucht es Kompromissbereitschaft und eine gute Portion Humor.

Wie findet man diese gemeinsamen Hobbys?

Je offener wir dem neuen Lebensabschnitt begegnen, desto besser. Vielleicht begleite ich meinen Partner auf eine Töfftour, dafür nimmt er mit mir an einem Tanzkurs teil. Solche gemeinsamen Erlebnisse können bereichernd und erfüllend sein.

Und wie sieht es im Alltag aus?

Eine gewisse Planung und Struktur kann helfen, das Miteinander zu organisieren. Es braucht viel Kommunikation und Kompromissbereitschaft. Es ist elementar, dass wir uns mit unserem Partner über unsere Bedürfnisse, Ideen und Pläne austauschen. Und noch ein Tipp: Nutzen Sie den Start in den neuen Lebensabschnitt dazu, die Karten bei der Ämtliverteilung im Haushalt neu zu mischen, sodass beide Parteien fair daran beteiligt sind.

Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?

Auf vieles! Ich habe einen kleinen Enkel, den ich schon heute montags betreue. Dann habe ich mir dieses Jahr ein E-Bike angeschafft, mit dem ich zusammen mit meinem Partner unterwegs bin. Eine weitere Leidenschaft von mir ist die Musik: Ich spiele Flöte in einem Ensemble. Und dann sind da noch unzählige Bücher, die ich schon lange lesen wollte. Zudem interessiere ich mich für Heilkräuter. Ich stelle zum Beispiel selber Teemischungen oder Salben her. Apothekerin war mein Traumberuf. So weit ist es zwar nicht gekommen, aber dafür setze ich das Experimentieren nun in meiner Pensionierung um.