Mobbing

Ratgeber / Kind & Familie

Hilfe gegen Hass im Netz

24.02.2025 / von 

Mobbing im digitalen Raum kennt keine Pausen: Fachexpertin Ingrid Broger von Pro Juventute gibt Tipps, wie Eltern Vorfälle erkennen und richtig reagieren können.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Die 13-jährige Lea kommt nach einem langen Schultag nach Hause. Bereits auf dem Heimweg vibriert ihr Handy unaufhörlich. Lea zögert, die Nachrichten zu öffnen, denn sie ahnt, was auf sie wartet: gemeine Kommentare, peinliche Bilder, die von ihren Klassenkameraden bearbeitet wurden – und unaufhörliche Sticheleien. Es ist nicht das erste Mal, dass Lea zur Zielscheibe ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler wird. Auf dem Pausenplatz wird das Mädchen seit Wochen ausgeschlossen und im Internet geht das Mobbing nun weiter.

Zwar handelt es sich in diesem Fall um ein fiktives Beispiel – Ingrid Broger, Projektverantwortliche für Medienkompetenz bei Pro Juventute, kennt solche Szenarien aber nur allzu gut. Sie weiss: Mobbing und Cybermobbing greifen heutzutage oft nahtlos ineinander über.

Ingrid Broger
Mobbing wächst durch Schweigen.

Ingrid Broger

Projektverantwortliche sowie Fachperson Medienkompetenz bei Pro Juventute

Frau Broger, wie verändert Cybermobbing das Leben betroffener Kinder im Vergleich zu klassischem Mobbing?

Das Kind ist ununterbrochen mit Mobbing konfrontiert, selbst wenn das Smartphone ausgeschaltet ist. Zudem ist Cybermobbing für Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen oft schwerer zu erkennen als Mobbing in der Schule oder im Verein, da Kinder und Jugendliche im digitalen Raum eher unter sich bleiben.

Welche spezifischen Herausforderungen bringt Cybermobbing noch mit sich?

Cybermobbing kennt keine Pausen und findet auch nach der Schule und abseits des Schulweges statt. Zudem haben beleidigende Inhalte im Internet eine grössere Reichweite und sind rund um die Uhr sichtbar. Oft ist auch die Hemmschwelle im Internet niedriger, da die mobbende Person anonym agieren kann.

Woran können Eltern erkennen, dass ihr Kind gemobbt wird?

Häufig wirken betroffene Kinder traurig, ängstlich oder antriebslos. Möglich ist auch, dass sich gemobbte Kinder zu Hause und in der Schule zurückziehen und Orte und Situationen meiden, in denen Mobbing stattfindet. Sie möchten vielleicht nicht mehr zur Schule oder zum Training. Vielleicht klagen sie sogar über körperliche Schmerzen oder Prellungen. Weitere Anzeichen können Schlafstörungen, Appetitverlust, sinkende schulische Leistungen, Selbstzweifel oder sogar Suizidgedanken sein.

Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie von möglichen Mobbing-Vorfällen erfahren?

Haben Eltern das Gefühl, dass ihr Kind gemobbt wird, sollten sie dies in einem passenden Moment ansprechen. Dabei gilt es aber achtsam zu sein. Ich würde das Kind nicht direkt mit einer Frage wie «Wirst du gemobbt?» konfrontieren, da dies das Kind überfordern könnte. Man könnte seinem Kind stattdessen mitteilen, dass man eine Veränderung im Verhalten wahrnimmt. Zum Beispiel: «Mir ist aufgefallen, dass du nicht mehr so viel über die Schule redest.» Damit fühlt es sich mit seinen Sorgen wahr- und ernst genommen.

Was sollten Eltern im Umgang mit Mobbing vermeiden?

Auf keinen Fall sollten Eltern die Situation verharmlosen, denn für das Kind ist diese sehr belastend. Ein Junge berichtete mir, dass seine Mutter ihm geraten habe, fiese Kommentare einfach in ein Ohr rein- und durch das andere rauszulassen. Darauf meinte der Schüler zu mir: «Aber ich habe das dann doch auch im Herzen, wie soll ich das vergessen?»

Wie soll man stattdessen handeln?

Ich empfehle Eltern, ihre Kinder beim Vorgehen gegen Mobbing miteinzubeziehen, also gemeinsam mit dem Kind Strategien zu entwickeln und Hilfe zu suchen. Mobbing wächst durch Schweigen. Je früher sich gemobbte und involvierte Personen Hilfe holen, desto besser. Dabei sollten die Eltern jedoch nie über den Kopf des Kindes hinweg entscheiden, da dies bei den Betroffenen als zusätzlicher Kon-trollverlust wahrgenommen wird.

An wen soll man sich konkret wenden?

Hilfe kann je nach Situation bei Schlüsselpersonen wie Trainer*innen oder Lehrpersonen, der Schulsozialarbeit, bei der Schulleitung, der Präventionsfachstelle der Polizei oder der Beratung 147.ch für Kinder und Jugendliche gesucht werden.

Oftmals wollen Kinder aber gar nicht über ihre Erfahrungen mit Mobbing sprechen. Was dann?

Die Gründe für das Schweigen sind unterschiedlich: Manche fürchten eine Verschlimmerung der Situation oder Strafen, andere erkennen gar nicht, dass sie gemobbt werden. Eltern sollten für eine offene Atmosphäre sorgen und immer wieder signalisieren, dass sie ohne Druck zum Zuhören bereit sind. Dabei hilft es, die Emotionen des Kindes zu spiegeln und offene Fragen zu stellen.

Welche psychischen Folgen kann Mobbing für betroffene Kinder haben?

Mobbing ist eine sehr prägende Erfahrung und hinterlässt Spuren, wie ich in Gesprächen mit ehemaligen gemobbten Personen immer wieder höre. Wer gemobbt wird, erlebt dies oft als extreme Stresssituation und Belastung – und das lang über das Mobbing-Ereignis hinaus.

Welche Massnahmen können Eltern ergreifen, um das Selbstwertgefühl ihres Kindes nach einem Mobbing-Vorfall zu stärken?

Im Kindes- und Jugendalter ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem Freundeskreis wichtig. Wenn das Kind nach der Mobbing-Klärung positive Erfahrungen in einem neuen oder gleichen Umfeld sammelt, fördert das seine mentale Gesundheit. Eltern sollten Aktivitäten unterstützen, die dem Kind helfen, abzuschalten und stärkende Erlebnisse zu haben.

• Offen kommunizieren: Eltern sollten sich für die Mediennutzung ihrer Kinder interessieren und altersgerecht über Chancen und Risiken im Netz sprechen. Gemeinsame Medienmomente fördern das Verständnis.

• Privatsphäre schützen: Kinder sollten lernen, verantwortungsvoll mit ihren Daten umzugehen. Eltern können dies durch einen achtsamen Umgang vorleben und gemeinsam mit ihren Kindern entscheiden, welche Informationen online geteilt werden.

• Fair bleiben: Wie im analogen Leben sind Respekt und Fairness auch im Netz grundlegend für den Umgang miteinander. Ebenfalls wichtig: Diskutieren Sie die Medienzeit mit Ihrem Kind und achten Sie auf genügend bildschirmfreie Aktivitäten.

• Wichtige Anlaufstellen sind das Beratungsangebot 147 (147.ch) von Pro Juventute, kantonale Gewaltpräventions- und Opferhilfestellen oder die Präventionsfachstelle der jeweiligen Kantonspolizei.