Jede fünfte Person in der Schweiz leidet an einer Lebensmittelallergie oder -intoleranz. Noemi Beuret vom aha! Allergiezentrum Schweiz weiss, worin die Herausforderungen bestehen.
Wodurch können Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen ausgelöst werden?
Weshalb der menschliche Körper zunehmend auf gewisse Nahrungsmittel allergisch oder intolerant reagiert, ist nicht abschliessend geklärt. Es wird ein komplexes Zusammenspiel von veränderten kulturellen und umweltbedingten Einflüssen vermutet. Gleichzeitig waren Allergien vor hundert Jahren noch nicht so erforscht wie heute – und wurden daher seltener diagnostiziert.
Welche Allergien oder Intoleranzen treten am häufigsten auf?
Das Schweizer Lebensmittelrecht definiert 14 Allergene, die zu deklarieren sind. Besonders schwerwiegende allergische Reaktionen können bei Erdnüssen, Meeresfrüchten, Nüssen und Sesamsamen auftreten. In der Schweiz reagieren Erwachsene am häufigsten allergisch auf Haselnüsse, Sellerie, Äpfel, Baumnüsse und Kiwi. Kinder im Säuglingsalter reagieren häufig allergisch auf Kuhmilch oder Hühnerei sowie auf Nüsse und Erdnüsse.
Wie wird eine Allergie diagnostiziert?
Kurz vorweg: Wird bei Kindern eine Allergie vermutet, sollte immer der Kinderarzt konsultiert werden. Bei Erwachsenen ist zunächst die Selbstbeobachtung wichtig: im Idealfall mithilfe eines Tagebuchs, in dem festgehalten wird, welche Nahrungsmittel zu Reaktionen oder Symptomen führen. In einem nächsten Schritt ist eine Allergologin zu konsultieren. Diese berücksichtigt für die Diagnose zum einen die Selbstbeobachtungen, zum anderen werden Haut- und Bluttests durchgeführt. In manchen Fällen ist auch eine orale Provokationstestung nötig. Eine Allergie besteht dann, wenn sowohl Haut- und Bluttest positiv ausfallen als auch klare allergische Symptome auftreten.
Wann spricht man von einer Lebensmittelintoleranz?
Typische Symptome sind Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall, seltener auch Erbrechen. Um herauszufinden, ob es sich um eine Laktoseintoleranz oder Fruchtzuckerunverträglichkeit handelt, wird ein H2-Atemtest durchgeführt. Bei der Zöliakie, einer Glutenintoleranz, werden bestimmte Antikörper im Blut gemessen. Je nach Fall wird zudem eine Darmspiegelung durchgeführt. Bei einer Intoleranz von Histamin, das sich stark in reifem Käse konzentriert oder in Essig, Sauerkraut oder Wein findet, gibt es noch keine validierten Tests. Wichtig ist hier, eine Ausschlussdiagnostik anderer Intoleranzen oder Allergien sowie eine Differenzialdiagnostik zu ähnlichen Krankheitsbildern zu erstellen.
Allergie oder Intoleranz?
Bei einer Lebensmittelintoleranz kann der Körper bestimmte Stoffe aus der Nahrung nicht oder nur unvollständig verdauen, was Probleme wie Blähungen, Durchfall oder Erbrechen hervorruft. Bei Allergien reagiert das Immunsystem auf an sich harmlose Bestandteile in Nahrungsmitteln und bildet Antikörper. Diese aktivieren weitere Immunzellen, die vielfältige Symptome auslösen können: geschwollene Lippen, Nesselfieber, das Anschwellen der Atemwege sowie Kreislauf- und Verdauungsprobleme. Bei einem schweren Verlauf spricht man von einer Anaphylaxie, einem allergischen Schock, der lebensbedrohlich sein kann. Von einer Nahrungsmittelallergie sind hierzulande rund 2 bis 6 Prozent der Bevölkerung betroffen.
Weitere Informationen unter aha.ch
Wie geht man im Familienalltag mit Unverträglichkeiten um?
Der Familienalltag hängt stark vom Schweregrad einer Allergie oder Intoleranz ab. Allergiebetroffene müssen besonders vorsichtig sein, wenn sie auswärts essen. Personen mit einer Intoleranz haben definitiv mehr Spielraum. Das Wissen von Betroffenen sowie von Eltern oder Lehrpersonen darüber, in welchen Nahrungsmitteln sich unverträgliche Inhalte verbergen, ist zentral. Eine offene Kommunikation innerhalb und auch ausserhalb der Familie ist deshalb das A und O. Das Kontrollieren von Zutatenlisten gehört für Betroffene zum Alltag. Die Allergie-Gütesiegel «aha!» und «free from» bieten beim Einkauf eine schnelle Orientierung.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Im Gegensatz zu Kindern, die offen und freiherzig über eine Allergie oder Intoleranz sprechen, sind Jugendliche eher zurückhaltend. Viele befürchten, ausgeschlossen zu werden, und behalten insbesondere Allergien für sich – mit schwerwiegenden Folgen. Die Zahl der Anaphylaxie-Fälle in der Schweiz, also schweren allergischen Reaktionen mit Blutdruckabfall, Kollaps, Bewusstlosigkeit und Schock, ist bei Jugendlichen am höchsten.
Was sind die wichtigsten Tipps und Tricks im Umgang mit Unverträglichkeiten?
Eine ausgewogene Ernährung ist sehr wichtig – trotz Allergien und Intoleranzen. Ich empfehle darum die Unterstützung durch einen Ernährungsexperten, der Betroffene berät und begleitet. Wichtig ist zudem das Wissen um die richtige Anwendung von Medikamenten oder einem Adrenalin-Autoinjektor, die bei starken Allergien zum Einsatz kommen. Unser Ziel ist es, Eltern, Betroffene und betreuende Personen aufzuklären und zu schulen – von der Kita über Lehrpersonen bis zum Grosi.
Noemi Beuret
Noemi Beuret ist Projektleiterin beim aha! Allergiezentrum Schweiz und schult Betroffene sowie Lehrpersonen im Umgang mit Notfallsituationen wie Anaphylaxie.