Reto Raselli zählt zu den Pionieren des Bio-Kräuteranbaus in der Schweiz. Im malerischen Le Prese in Graubünden kultiviert und verarbeitet er mit seinem Team die hochwertigen Zutaten für die Naturage Teesorten.
Reto Raselli
Kräuterbauer in Le Prese, Graubünden
Herr Raselli, Sie sind der erste Kräuterbauer in der Schweiz, der ganz auf Bio setzte. Wie kam es dazu?
Ich bin ausgebildeter Landwirt und führte den Hof meiner Eltern, als ich vor rund 40 Jahren von einem Projekt hörte, das sofort mein Interesse weckte. Ich fand die Kräuterbauern in der Schweiz schon immer extrem cool, und es ging um das Anbauen von Heilpflanzen auf natürlicher Basis. Ziel des Projekts war es, Kräuter und Blumen ganz ohne chemische Hilfsmittel anzubauen. Der Begriff «Bio» war damals bei weitem nicht so landläufig wie heute. Wir starteten hier Mitte der 1980er-Jahre mit dem natürlichen Anbau von Kräutern und rüsteten in den 1990er-Jahren den gesamten Betrieb auf das Label «Bio Suisse» um.
Somit setzt Ihr Betrieb seit rund 40 Jahren auf bio-Qualität. Was heisst das für Ihre Arbeit?
Im Bio-Anbau ist die Rotation der Felder sehr wichtig, deshalb liegen auch jetzt einige Böden brach oder werden mit Klee bepflanzt. So können sich die Nährstoffe im Boden auf natürliche Weise erneuern. Unsere Arbeit hat viel mit traditionellem Handwerk zu tun und baut auf einem reichen Schatz an Erfahrungen auf.
Welche Bedeutung haben Kräuter für Sie?
Was mich besonders beeindruckt, ist die geschmackliche Vielfalt der Pflanzen, die hier oben auf 1’000 Metern über dem Meer wachsen. Ebenso fasziniert mich die Intensität einer Pflanze und wie sich ihr Geschmack entfalten kann. Wenn ich bei meinen Streifzügen durch die Felder die unterschiedlichen Düfte einatme, löst das in mir ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus.
Sie liefern die Kräutern für die Naturage Gesundheitstees, aber auch Unternehmen wie Ricola, Coop Naturaplan oder Kennel gehören zu Ihren Kunden. Welche Kräuter sind besonders gefragt?
Es gibt natürlich Klassiker wie Brennnessel, Pfefferminze oder Salbei. Momentan sind aber auch Frauenmantel, Schafgarbe, Verveine, Zitronenmelisse oder Malve im Trend. Wir achten beim Anbau darauf, Sorten zu wählen, die in unserem Klima ideal gedeihen. Natürlich gibt es auch Versuche mit neuen Sorten, dann analysieren wir die Ergebnisse und entwickeln den Anbau weiter, wenn der Ertrag stimmt. Die Edelweiss-Sorte Helvetia zum Beispiel pflanzen wir seit 15 Jahren sehr erfolgreich an.
Wie wichtig ist der Standort Le Prese für die Qualität Ihrer Produkte?
Obwohl wir uns auf 1’000 Metern über Meer befinden, sorgen die sonnige Südlage und der Schutz der umliegenden Berge für ein ideales Mikroklima. Unsere humusreichen Böden eignen sich zudem bestens für den Anbau von Heilpflanzen. Viele Leute staunen darüber, dass selbst eine relativ zierliche Pflanze wie Verveine bei uns so prächtig gedeiht.
In welchen Bereichen kann Ihr Betrieb trotz technologischer Fortschritte noch nicht auf Handarbeit verzichten?
Die grösste Herausforderung beim Kräuteranbau ist die Bekämpfung von Unkraut. Obwohl die heutigen Maschinen gut entwickelt sind, müssen wir die Felder regelmässig manuell mit der Hacke bewirtschaften. Auch das Ernten der Blüten ist noch immer nur von Hand möglich. Die Stützkonstruktionen bei hohen Blumenstauden wie der Korn- oder Ringelblume errichten wir ebenfalls von Hand.
Und wo erleichtert Technologie Ihre Arbeit?
Im Gegensatz zu den Blüten können wir Kräuter heute maschinell ernten, trocknen und je nach Verwendungszweck bis zur gewünschten Grösse zerkleinern. Dank moderner Trockenanlagen ist das Material in der Regel nach gut 48 Stunden trocken und bereit zur Weiterverarbeitung: als Blattware für Offentees oder als Feinschnitt, der für das Abpacken in Beutel hergestellt wird. Die heutige technische Bewirtschaftung und Weiterverarbeitung von Kräutern hat enorme Fortschritte gemacht – und erleichtert uns in vielerlei Hinsicht die körperlich sehr intensive Arbeit.
Wie lange dauert der Herstellungsprozess Ihrer Kräuterprodukte in der Regel?
Der Prozess ist bei jeder Pflanze anders, da jedes Kraut seine eigene Geschichte hat. Die Brennnessel zum Beispiel ist mehrjährig und kann bereits im Mai geerntet werden – ähnlich ist es beim Frauenmantel. Pfefferminze ist resistent, die Pflanze hält rund drei Jahre, jedoch ist die Unkrautbekämpfung im zweiten und dritten Jahr relativ aufwendig. Andere Pflanzen wie die einjährige Verveine werden im Frühling gesetzt und erst im Herbst geerntet. Der richtige Zeitpunkt beim Ernten ist für die Qualität zentral. Ebenso ist die Trocknung bei allen Pflanzen eine schwierige und wichtige Phase. Wir achten darauf, mit höchstens 40 Grad zu arbeiten – so haben die Pflanzenzellen genügend Zeit, die Inhaltsstoffe in den Zellen zu speichern. Unser Ziel ist es schliesslich, Produkte mit möglichst komplexen Aromen zu erhalten, die dem Menschen guttun.
Welche Prozessphase finden Sie persönlich am spannendsten?
Wenn nach der Aussaat im Frühling schon nach wenigen Wochen die ersten Pflanzen spriessen, ist das schon sehr eindrücklich. Zudem macht das Arbeiten mit modernen Geräten grossen Spass und erleichtert die Arbeit.
Unter welchen Voraussetzungen entwickeln sich die Aromen in Ihren Pflanzen am besten?
Alles beginnt bei der Auswahl der Sorte. Aufgrund unserer Erfahrung wissen wir, welche Pflanzen mehr Geschmack enthalten als andere. Ein weiterer Faktor für den Geschmack ist der Schnitt, denn damit steigt der Gehalt in einer Pflanze an. Dabei spielen auch die Temperaturen eine Rolle, denn die ätherischen Öle entwickeln sich mit und durch Wärme. Wir achten darauf, dass wir die Kräuter und Blüten am Nachmittag ernten, weil die Wirkstoffe sich dann am stärksten entfalten.
Was macht für Sie ein erfolgreiches Jahr aus?
Als Bauer bin ich dann zufrieden, wenn wir im Herbst die gewünschten Mengen in der geforderten Qualität einbringen können und unsere Lager voll sind. Als Unternehmer ist es mir wichtig, dass mein Personal gut abgesichert und die Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden fruchtbar ist. Zentral sind ebenfalls eine ertragreiche Ernte und Wetterbedingungen, die es gut mit uns meinen.
Seit über 40 Jahren sind Sie mit Herzblut im Business. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich hoffe, dass ich noch lange meiner Leidenschaft nachgehen kann. Mein Fokus liegt klar auf dem Kräuteranbau. Deshalb habe ich vor drei Jahren den Landwirtschaftsbetrieb mit Vieh- und Feldarbeiten an meinen Neffen abgegeben. So kann ich mich ganz auf die Fabrik und die Erboristeria konzentrieren, wo wir unsere Kräuter weiterverarbeiten. Ausserdem pflege ich einen engen Kontakt zu anderen Kräuterbauern und bin auch in der Beratung tätig. Der Kräutermarkt bietet noch so viel Potenzial, das ausgeschöpft werden kann.
Zur Person
1981 hat sich Reto Raselli dem natürlichen Kräuteranbau verschrieben. Seit 1993 ist sein Hof mit dem Bio-Label «Knospe» zertifiziert. Unter der Marke «Erboristeria Biologica» werden zahlreiche Bio-Kräuter und -Blumen für den Klein- und Grosshandel kultiviert, geerntet und schonend verarbeitet.