Pflanzen können eine heilende Wirkung haben, das ist seit Menschengedenken bekannt. Was macht aber eine Heilpflanze zu einer solchen und wie wird sie verwendet?
Alt bewährte Heilpflanzen
Trinken Sie bei Husten Lindenblütentee? Dann greifen Sie, bewusst oder unbewusst, zu einer seit Jahrhunderten bekannten Heilpflanze, die dank ihrer Schleimstoffe zur Reizlinderung eingesetzt wird. Genau solche messbaren, sekundären Inhaltsstoffe mit medizinischer Wirkung machen eine Heilpflanze aus und unterscheiden sie von anderen Gewächsen. Einige dieser Naturheilmittel wie die Ringelblume, auch Calendula genannt, sind allgemein bekannt, andere wie das Hirtentäschel dagegen weniger.
Phytotherapie – pflanzliche Anwendungen
Die Lehre der Heilpflanzen heisst Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde. Dabei wird die Pflanze entweder als Ganzes verwendet oder aber nur Teile davon, beispielsweise die Wurzeln, Blüten, Blätter oder Samen. «Für die Zubereitung dieser Form der Medizin braucht man, etwas vereinfacht ausgedrückt, eigentlich bloss Wasser oder Alkohol», sagt Kurt Altermatt. Der Experte für Naturmedizin führt aus: «So bekommt man Tees oder Tinkturen. Eine weitere Möglichkeit ist die gemahlene Form als Gewürz.»
Kurt Altermatt vertritt einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Mensch und Pflanze als eine zusammenhängende und sich entsprechende Einheit verstanden werden. «Sobald eine Pflanze auffällig wird durch das, was sie macht, kann man davon ausgehen, dass sie eine Wirkung hat, die für die Linderung eines analogen Leidens verwendet werden kann», erklärt der Drogist.
Blau blüht der Enzian – oder gelb?
Veranschaulichen kann man das Gesagte ideal am Beispiel des Enzians. Bei ihm denken die meisten wohl an die kleine blaue Alpenblume, schön und schwierig zu finden – aber eben doch «nur» eine gewöhnliche Pflanze.
Der Gelbe Enzian, ein Vertreter dieser «normalerweise» blaublütigen Pflanzenfamilie, erreicht dagegen eine Wuchshöhe von bis zu einem Meter und besitzt als sogenannter Wintersteher eine aussergewöhnliche Stärke. Seine bis zu armdicken Wurzeln können durchaus Felsen sprengen. «Des Weiteren zeichnet sich diese Pflanze durch bis zum Kelchboden eingeschnittene gelbe Blütenblätter aus. Sie kennt also das Prinzip der Spaltung», weiss Kurt Altermatt. Dieses besondere Merkmal lässt somit darauf schliessen, dass der Gelbe Enzian ein geeigneter Verdauungshelfer ist, da er quasi die Zerteilung vorlebt.
Und in der Tat, im Gegensatz zum Blauen ist der Gelbe Enzian schon seit Langem als Heilpflanze bekannt, die bei Verdauungsstörungen und Appetitmangel eingesetzt wird. Diese Wirkung ist den im Wurzelstock enthaltenen äusserst starken Bitterstoffen zu verdanken, die auf Magen und Darm einen anregenden Effekt haben. Zusätzlich stimulieren seine sekundären Pflanzenstoffe auch die Leber und können gegen Müdigkeit oder Verstimmung helfen.
Geschichte der Pflanzenheilkunde
Vom alten Persien über das Reich der Mitte bis zu keltischen Druiden: Kulturen rund um den Globus praktizieren sie schon seit Menschengedenken die Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde. In Europa belegen Funde aus der Pfahlbauerzeit, dass man bereits damals eine gewisse Form der Kräutermedizin betrieb, und im antiken Rom erlebte sie eine regelrechte Blütezeit. Im Lauf der Zeit aber ging durch die Hexenverfolgung und -verbrennung viel Wissen um die Pflanzenheilkunde verloren.
Erst im Mittelalter wurden diese Kenntnisse dank der Benediktinermönche wiederentdeckt. Sie pflanzten in ihren Klostergärten Kräuter an und dokumentierten deren heilende Wirkung. Der aus Einsiedeln stammende Arzt Paracelsus widmete sich im 16. Jahrhundert dieser Disziplin. Andere bedeutende Köpfe aus der Schweiz lieferten weitere wichtige Beiträge, zum Beispiel der «Kräuterpfarrer» Johann Künzle (1857–1945). Heute ist die Pflanzenheilkunde, als Bestandteil der Komplementärmedizin, eine anerkannte Wissenschaft.