Eine psychische Erkrankung belastet nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Umfeld. Dr. Dalit Jäckel-Lang erklärt, was Freunde, Angehörige oder Arbeitskolleginnen in solchen Situationen tun können.
Dr. Dalit Jäckel-Lang
Leiterin Prävention und Erste Hilfe für psychische Gesundheit (Ensa) bei der Stiftung Pro Mente Sana
Frau Dr. Dalit Jäckel-Lang, wir alle sind mal verstimmt. Wie erkennt man, dass beim Gegenüber ein ernsthaftes psychisches Problem vorliegt?
Es ist tatsächlich völlig normal, sich an gewissen Tagen auch einmal schlecht zu fühlen. Hellhörig sollte man werden, wenn sich ein solcher Zustand über mehrere Tage oder gar Wochen hinzieht. Psychische Belastungen machen sich in der Regel in Gedanken, Gefühlen sowie im Verhalten bemerkbar.
Welche Symptome sind damit verbunden?
Für das Umfeld lassen sich psychische Erkrankungen am ehesten durch sich verändernde Verhaltensweisen erkennen. Zieht sich die Person zum Beispiel aus dem sozialen Leben zurück? Reagiert sie ständig gereizt oder sarkastisch? Trinkt sie häufig Alkohol oder nimmt andere Substanzen? Schläft sie auf einmal viel mehr oder weniger als sonst? All das sind bereits frühe Warnzeichen.
Wie reagiert man am besten in solchen Fällen?
Der wichtigste Schritt überhaupt ist, auf die betroffene Person zuzugehen und sie aktiv anzusprechen. Je früher man sich Unterstützung holt, desto besser sind die Behandlungsaussichten.
Solche Gespräche sind nicht einfach. Was gilt es zu beachten?
Wichtig ist, dass man möglichst unvoreingenommen in das Gespräch geht. Versuchen Sie, Ihre Beobachtungen zu schildern und einfühlsam zuzuhören. Dabei sollten Sie jegliche Wertung unterlassen. Versuchen Sie, positiv zu bleiben, und ermutigen Sie Ihr Gegenüber, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Wovon raten Sie im Umgang mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung ab?
Reagieren Sie nicht kritisch oder sarkastisch, wenn die Reaktion Ihres Gegenübers anders ausfällt, als Sie es erwartet haben. Zudem sollte man die Erfahrung der betroffenen Person nicht verharmlosen, indem man sie zum Beispiel dazu auffordert, «sich am Riemen zu reissen» oder «ein bisschen fröhlicher zu sein».
Und was, wenn das Gegenüber per se keine Hilfe annehmen möchte?
Es kommt oft vor, dass Betroffene anfangs abweisend auf Unterstützungsangebote reagieren. Möglicherweise fehlt die Krankheitseinsicht. Es kann aber auch sein, dass sich die Person vor den Kosten einer Behandlung fürchtet – oder dass sie Angst hat, in eine Klinik eingewiesen zu werden oder ihren Job zu verlieren. Versuchen Sie herauszufinden, ob es konkrete Gründe für die ablehnende Reaktion gibt.
Und dann?
Niemand kann zu einer Therapie gezwungen werden. Wenn jemand gerade keine Hilfe möchte, sollten Sie diesen Entscheid respektieren – es sei denn, man ist der Auffassung, die Person könnte sich oder andere gefährden. Vermitteln Sie der betroffenen Person in jedem Fall, dass Sie für sie da sind, und fragen Sie nach, ob es in Ordnung ist, wenn Sie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals nachfragen, wie es geht.
In der Schweiz gibt es sehr viele Single-Haushalte. Welche Tipps haben Sie für Personen, die auf sich allein gestellt sind?
Auch Singles verfügen in der Regel über ein soziales Netzwerk. Scheuen Sie sich nicht, sich bei der Familie oder im Freundeskreis Unterstützung zu holen. Wer das nicht tun möchte, kann sich beispielsweise bei der Beratung von Pro Mente Sana oder der Dargebotenen Hand (143) melden. Gewisse Beratungsstellen sind rund um die Uhr für Menschen in psychischen Krisen da.
Was macht man als angehörige Person, um nicht selbst psychisch ans Limit zu kommen?
Es ist wichtig, dass auch die unterstützende Person mit jemandem über ihre Gefühle reden kann. Ganz allgemein kann es hilfreich sein, Dinge zu unternehmen, die das eigene Wohlbefinden verbessern. Egal ob Yoga, Sport oder ein Abendessen mit Freunden: Gut ist, was guttut.
Wie reagiert man, wenn auch Kinder mit der Situation in der Familie belastet sind?
Wenn Kinder involviert sind, ist dies meist mit besonderen Herausforderungen verbunden. Oftmals haben Kinder das Gefühl, Mama oder Papa geht es schlecht, weil sie etwas falsch gemacht haben. Erklären Sie den Kindern unbedingt, dass sie nicht schuld sind an dieser Situation. Wichtig ist zudem, dass die Kinder immer wieder Gelegenheiten erhalten, einfach Kind sein zu dürfen.
Tipps für Angehörige
- Reden: Über Ängste und negative Gefühle zu reden, ist der erste Schritt zur Besserung. Wichtig: Sie müssen die Probleme Ihres Gegenübers nicht lösen – das ist häufig nicht direkt möglich. Aber Ihre Anteilnahme und Ihr Interesse können schon einiges bewirken.
- Zuhören: Viele Menschen haben Angst, nicht die richtigen Worte zu finden. Sie unterschätzen dabei, wie gut es tut, wenn jemand einfach mal zuhört und Anteil nimmt.
- Hilfe holen: Wenn jemand sich selbst verletzt oder suizidgefährdet ist, sollten Sie sofort professionelle Hilfe holen.
- Selbstfürsorge: Nehmen Sie sich Zeit für Ihre eigenen Bedürfnisse. Pflegen Sie soziale Kontakte und Hobbys und gönnen Sie sich auch mal etwas Gutes.
Zur Person
Dr. Dalit Jäckel-Lang ist Leiterin Prävention und Erste Hilfe für psychische Gesundheit (Ensa) bei der Stiftung Pro Mente Sana. Ensa-Kurse vermitteln einfache und leicht anzuwendende Instrumente, um im Alltag auf Betroffene zugehen zu können, sie zu unterstützen und zu professioneller Hilfe zu ermutigen.