Sobald ein Baby zur Welt kommt, scheint es fast selbstverständlich, dass es mit dem Stillen problemlos klappt. Doch Stillen erfordert Zeit, Geduld und Übung.
Für viele ist es ein inniger Moment, ein Moment der Geborgenheit und Zweisamkeit: das Stillen des eigenen Babys. Dass es mit dem Stillen von Anfang an klappt, ist aber nicht selbstverständlich. Besonders in den ersten Wochen nach der Geburt verlangt es der Mutter einiges ab, sowohl physisch als auch psychisch. Häufige Herausforderungen sind schmerzende Brüste, wunde Brustwarzen oder ein Baby, dem das Trinken an der Brust Schwierigkeiten bereitet. «Gerade am Anfang ist Stillen ein Lernprozess für beide Seiten», sagt Rosina Bühlmann, Pharma-Assistentin und Stillbegleiterin DAIS (Deutsches Ausbildungsinstitut für Stillbegleitung) in einer Drogerie Apotheke in Thun. «Mutter und Kind müssen sich kennenlernen und aufeinander abstimmen», betont die Expertin. Dieser Prozess braucht Zeit. Sechs bis maximal zwölf Wochen kann es dauern, bis sich die Milchbildung reguliert und mit Angebot und Nachfrage harmoniert. Danach klappt das Stillen meist deutlich besser. «Ich empfehle, dass sich Eltern schon in der Schwangerschaft mit den Erwartungen ans Stillen auseinandersetzen – das kann schon etwas Druck rausnehmen.»
Ruhe und Raum zum Üben
Auch die Väter und das weitere Umfeld können in der Anfangszeit viel zur Entlastung von Mutter und Kind beitragen. Kochen, einkaufen, waschen, Verständnis zeigen und Besuche dosieren: All dies kann helfen, dass Mütter sich erholen und auf das Baby konzentrieren können. So haben sie Raum, um ihren eigenen Stillrhythmus zu finden. Das Ansetzen des Kindes kann zu Beginn eine Weile dauern. «In den ersten Wochen trinken viele Kinder eher langsam. Sie sollten acht- bis zwölfmal in 24 Stunden gestillt werden», betont Rosina Bühlmann. Entspannung ist auch bei der Ernährung gefragt. Gemäss diversen Studien beeinflussen Lebensmittel die Muttermilch oder Verdauung des Kindes kaum. Auch Knoblauch, Kohl oder Zwiebeln können darum gegessen werden. «Idealerweise isst man ausgewogen und worauf man Lust hat», so Rosina Bühlmann. Beim Kaffee liegt die Empfehlung bei maximal zwei bis drei Tassen pro Tag, Alkohol gilt es zu vermeiden.
Helfer fürs Stillen
Neben der psychischen Unterstützung gibt es Hilfsmittel, die das Stillen unterstützen. Bei wunden Brustwarzen rät die Expertin, auf die Stillposition und das Anlegen zu achten. Wunde Stellen entstehen oft, wenn das Baby die Brustwarze nicht richtig in den Mund nimmt. «Das Kind sollte den Mund weit öffnen, um möglichst viel vom Warzenhof zu erfassen. So wird die Brustwarze beim Trinken nicht gequetscht oder wundgerieben.» Bei zu prallen Brüsten kann das Kind oft nicht genug von der Brust fassen. «Dann kann es helfen, vor dem Stillen von Hand etwas Milch auszustreichen», erklärt Rosina Bühlmann. Bei Hohl- oder Flachwarzen bietet ein Brusthütchen Unterstützung. Sind die Brustwarzen wund, kann das Auftragen von Muttermilch oder einer Creme mit Lanolin (Wollfett) die Heilung unterstützen. Auch Milchpumpen sind hilfreich. Sie kommen zum Einsatz, wenn Mutter und Kind für einige Zeit getrennt sind. Für solche Fälle lässt sich ein Vorrat an Muttermilch anlegen. Idealerweise pumpt man dafür, eine Stunde nachdem das Baby getrunken hat, zusätzlich rund 50 Milliliter ab und bewahrt die Muttermilch an einem kühlen Ort auf. Im Kühlschrank ist sie bis zu vier Tage, im Tiefkühlfach bis zu drei Monate haltbar.
Muttermilch fürs Immunsystem
Muttermilch ist äusserst nährstoffreich. Ihre Zusammensetzung ist komplex und auf die Bedürfnisse des Babys abgestimmt. Sie enthält grundlegende Nährstoffe wie Kohlenhydrate, Proteine und Fette, die den Säugling ausgewogen versorgen. Zusätzlich finden sich in ihr Inhaltsstoffe, die das Immunsystem und den Darm sowie weitere Organe stärken. Dazu gehören unter anderem lebende Zellen wie weisse Blutkörperchen oder Stammzellen, komplexe Zuckermoleküle, Enzyme, Hormone, Vitamine, Mineralstoffe und Antikörper. Einige dieser Stoffe können nicht künstlich nachgebildet werden. Das Nähren an der Brust stärkt ausserdem die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Doch auch Mütter, die nicht stillen, können ihrem Kind Nähe und Geborgenheit vermitteln. Etwa indem sie das Kind zu sich nehmen, wenn sie es füttern, regelmässig mit ihm kuscheln oder es in einem Tragetuch bei sich tragen. Dies gilt übrigens auch für Väter.
Hilfe bei Milchstau und Brustentzündung
Eine häufige Komplikation beim Stillen ist der Milchstau. Er entsteht, wenn sich Milch in den Milchgängen staut. Die Brust schmerzt und verhärtet sich. Die Ursachen sind vielfältig. Es kann daran liegen, dass das Baby die Brust über längere Zeit nicht richtig entleert. Ein zu enger BH, eine ungeeignete Tragehilfe, Stress oder Unruhe begünstigen einen Milchstau ebenso. Das beste Mittel, um den Stau zu lösen, ist häufiges Stillen. Dabei sollte die Brust zuerst erwärmt und sanft massiert werden. Für das Erwärmen eignen sich Cold-Hot-Packs oder ein feuchtwarmes Tuch. Anschliessend legt man das Kind mit dem Kinn an der gestauten Stelle an. Nach dem Stillen empfiehlt es sich, die Brust durch das Auflegen von Kohlblättern, mit Quarkwickeln oder Cold-Hot-Packs aus dem Kühlschrank zu kühlen und sich Ruhe zu gönnen. Löst sich ein Milchstau nicht, kann es zu einer Brustentzündung mit hohem Fieber kommen. Eine solche muss umgehend ärztlich behandelt werden.
Abstillen braucht Zeit
Wann der richtige Zeitpunkt zum Abstillen gekommen ist, entscheidet jede Mutter individuell für sich und ihr Kind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät dazu, Säuglinge in den ersten sechs Lebensmonaten ausschliesslich und anschliessend in Kombination mit Beikost bis mindestens zum Alter von zwei Jahren zu stillen. In der Schweiz stillen Mütter im Schnitt ein Jahr lang. Unabhängig vom Zeitpunkt empfiehlt Rosina Bühlmann, das Abstillen langsam anzugehen. Bei diesem Prozess kann auch eine kompetente Stillberaterin unterstützen.