Endometriose

Ratgeber / Gesundheit

Endometriose: Unerträgliche Schmerzen

24.11.2023 / von 

Jeden Monat heftige Schmerzen teilweise so stark wie bei einer Geburt: Jede zehnte Frau in der Schweiz leidet an Endometriose. Die Entstehung von abnormen Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut ausserhalb der Gebärmutterhöhle ist nicht vollständig geklärt. Der Leidensdruck bei Betroffenen ist enorm hoch.

Jede Frau hat in ihrem Leben einmal Periodenbeschwerden. Die charakteristischen krampfartigen Schmerzen im Unterbauch werden oft von Rücken- oder Kopfschmerzen begleitet. Im Fachjargon wird von einer primären und einer sekundären Dysmenorrhoe gesprochen. Bei der primären löst die Menstruation selbst die Schmerzen aus. Davon betroffen sind meist Mädchen und junge Frauen zu Beginn des gebärfähigen Alters. Eine sekundäre Dysmenorrhoe geht hingegen auf organische Veränderungen oder gynäkologische Erkrankungen zurück, zu der auch die Endometriose zählt.

Entzündliche Herde

Der Name Endometriose leitet sich vom lateinischen Wort Endometrium (Gebärmutterschleimhaut) ab, sie kleidet die Innenseite der Gebärmutter aus. Im Verlauf des Monatszyklus wird die Schleimhaut aufgebaut und so für die Einnistung einer befruchteten Eizelle vorbereitet. Bleibt die Eizelle unbefruchtet oder kann sich eine befruchtete nicht in der Gebärmutter einnisten, wird die oberste Schicht ihrer Schleimhaut als Regelblutung abgestossen. Bei einer Endometriose verteilen sich kleine Teile dieser Schleimhaut aus noch nicht vollständig erforschten Gründen ausserhalb der Gebärmutter. Sie siedeln sich an den Eierstöcken, in der Vagina, im Rektum, im Darm oder an der Blase an; sehr selten wandern sie bis in die Lunge oder das Gehirn. Es wachsen kleine Herde heran, die aufgrund ihrer Beschaffenheit auf den Zyklus reagieren und sich entsprechend verhalten. In den Herden findet routinemässig eine Neubildung von Blutgefässen statt, dabei bluten diese aus sich heraus. Im Gegensatz zur Schleimhaut in der Gebärmutter fliessen sie allerdings nicht über die Periode ab, sondern bleiben im Körper. Das Gewebe kann sich dabei entzünden, Verwachsungen oder auch Zysten in den Eierstöcken (Endometriome) sind häufig. In den Endometriomen findet während jeder Menstruation eine Blutung statt, wobei sich das Blut in der Zyste ansammelt. Folglich kommt es vor, dass gewisse Organe ihre Arbeit nicht mehr vollständig ausführen können.

Eingeschränkte Lebensqualität

«Die Beschwerden sind unabhängig von der Grösse oder dem Befall», erklärt Andrea Meuthen. Die Apothekerin und Co-Betriebsleiterin litt selbst an Endometriose: «Eine Frau kann den ganzen Bauch voller Herde haben und beschwerdefrei leben, eine andere hat heftigste Schmerzen aufgrund eines kaum sichtbaren Herdes.» Symptome sind starke Schmerzen vor und während der Menstruation oder zu anderen Zeiten des Zyklus – etwa beim Eisprung – sowie Schmerzen beim Wasserlassen, Stuhlgang oder Geschlechtsverkehr. Oftmals wirkt sich eine Endometriose auch auf den Darm aus. Betroffene leiden an Blähungen, einem Reizdarm oder haben einen sogenannten Endo-Belly, quasi einen Blähbauch, der durch die Endometriose ausgelöst wird. Anhaltende Schmerzen begünstigen das Phänomen der Überempfindlichkeit, wobei die Schwelle für die Schmerzwahrnehmung sinkt. «Chronisch starke Schmerzen führen mitunter auch zu psychischen Problemen wie depressiven Verstimmungen, Abgeschlagenheit oder Schlafstörungen. Dazu kommt die Ungewissheit, dass etwas im Körper nicht stimmt. Das verstärkt den Leidensdruck umso mehr», weiss die Expertin.

Revolution bei der Endometriose-Diagnose

Da viele der Symptome auch auf andere Krankheiten hindeuten können und «etwas Bauchweh» während der Tage oft falsch gedeutet wird, dauert eine Diagnose durchschnittlich neun Jahre. «Wenn Kundinnen über starke Regelschmerzen und typische Beschwerden klagen, hake ich nach. Es kommt oft vor, dass sich die Annahme bestätigt und Frauen nach ärztlicher Abklärung die Diagnose Endometriose erhalten.» Ein invasiver Eingriff war lange die einzige Möglichkeit zu erkennen, ob eine Erkrankung vorliegt. Dabei können erkennbare Entzündungsherde entfernt werden. Zwar handelt es sich um kleine chirurgische Eingriffe, diese hinterlassen aber dennoch eine Narbe. Mit einem neuen Test soll die Leidenszeit von Betroffenen massiv verkürzt werden: Der Speicheltest ermöglicht eine Früherkennung der Krankheit. Gynäkologen sprechen von einer hohen Spezifität und einer besseren Genauigkeit als bei einem operativen Eingriff.

Verhütung und Schwangerschaft

Frauen mit Endometriose wird eine Verhütungsmethode zum Einnehmen in Form von östrogen- und gestagenhaltigen Pillen empfohlen. Lokal auch die Gestagenspirale – Voraussetzung ist natürlich, dass die entsprechenden Präparate vertragen werden. Oft wird Endometriose erst bei der Untersuchung aufgrund eines unerfüllten Kinderwunschs entdeckt. Tatsächlich kommt es vor, dass die Erkrankung die Aussicht auf eine Schwangerschaft mindert. Wenn die Endometrioseherde in den Eierstöcken sitzen, kann dies die Reifung der Eizellen beeinträchtigen. Verklebungen und Verwachsungen im Bereich des Beckens sind ebenfalls häufige Ursachen. Eine natürliche Schwangerschaft wird dadurch unwahrscheinlicher. Zwischen 30 und 40 Prozent aller Betroffenen sind unfruchtbar. Bei Patientinnen mit Endometriose und unerfülltem Kinderwunsch wird die Chance einer Schwangerschaft deutlich erhöht, wenn das überschüssige Gewebe entfernt wird. Die Chance auf eine Schwangerschaft kann in den kommenden Monaten ansteigen, weil die Eizelle eine «gesunde» Gebärmutterschleimhaut ohne Wucherungen vorfindet, was die Einnistung fördert. Allerdings kommt es vor, dass sich im Verlauf der folgenden Monate das Gewebe wieder aufbaut.

Endometriose-Therapie ohne Operation

Da Endometriose abhängig vom Hormonhaushalt ist, wird mit der medikamentösen Therapie versucht, die entzündlichen Herde auszutrocknen. Dabei kommen etwa Gestagenpräparate zum Einsatz. Zur Linderung der Schmerzen werden vorwiegend Analgetika empfohlen, die eine entzündungshemmende Wirkung haben. Ein etwas breiteres Feld bietet die Alternativmedizin: Präparate mit Mönchspfeffer, Schafgarbe, Johanniskraut und Frauenmantel bewähren sich ebenso wie Curcumin, Omega-3-Fettsäuren, Zink, Selen und die Vitamine C und E. Andrea Meuthen weiss auch von Erfolgen mit Osteopathie, Akupunktur oder Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) zu berichten. Die Apothekerin rät: «Wenn Sie das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, bleiben Sie hartnäckig und stehen Sie für sich ein.» Die Fachpersonen in der Apotheke beraten Sie gerne individuell und im persönlichen Rahmen.

Dieter Stöckli
Die Beschwerden sind so individuell wie die Frauen selbst.

Dr. med. lic. et phil. Dieter Stöckli

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe

Wie erleben Sie Frauen mit Endometriose-Verdacht?

Die meisten sind sehr verzweifelt, weil sie nicht wissen, was ihnen fehlt. Viele leiden jahrelang unter den starken Schmerzen, aber auch darunter, dass sie nicht ernst genommen worden sind.

Warum dauert eine Diagnose so lange?

Da gibt es verschiedene Gründe: Einerseits sind wir heute bezüglich Technologien und Erkenntnissen viel weiter als noch vor 20 Jahren. Der neue Speicheltest ist dabei einer der grössten Fortschritte. Ich sehe die Gründe aber auch im Verständnis der Gesellschaft. Leider erhalten heftige Schmerzen während der Periode noch immer zu wenig Beachtung. Betroffene hören oft Sätze wie «Reiss dich zusammen» oder «So schlimm wird es wohl nicht sein». Viele Frauen stumpfen ab, sehen die Probleme bei sich selbst oder wagen es nicht, sich für sich einzusetzen. Darüber hinaus ist es für uns alle schwierig, einen Schmerz nachzuvollziehen, den wir selbst noch nie erlebt haben.

Auf welche Behandlungsansätze setzen Sie?

Die Beschwerden sind so individuell wie die Frauen selbst. Sie können sich über die Jahre auch verändern, ganz verschwinden oder verstärken. Deshalb nehme ich mir Zeit, um herauszufinden, wie ich jede einzelne Frau bestmöglich unterstützen kann. Manche lehnen Hormontherapien ab, andere können sich keinen operativen Eingriff vorstellen. Deshalb gilt es, gemeinsam mit der Patientin die Therapie zu finden, die ihr am besten entspricht und den Leidensdruck lindert.

Wie können Partner*innen und das soziale Umfeld unterstützen?

Im Idealfall mit Akzeptanz: Das hilft, die Krankheit zu verstehen, und gleichzeitig wissen die Frauen jemanden an ihrer Seite. Es können auch kleine Gesten sein wie eine Bettflasche parat machen, einkaufen gehen oder das Essen zubereiten. In der Vergangenheit haben sich auch zahlreiche Selbsthilfegruppen gebildet. Sich mit Leidensgenossinnen auszutauschen, tut den Frauen gut. Sie spüren, dass sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind.