In der Autonomiephase entdecken Kinder ihren eigenen Willen und ihre Gefühle. Das ist aufregend und herausfordernd – für die ganze Familie. Wie Eltern Ruhe bewahren und was Kindern hilft.
Das runde Klötzchen will nicht in die eckige Form passen. Nach mehreren gescheiterten Versuchen bekommt das Kind einen Wutanfall und das Klötzchen fliegt durch die Luft. Szenenwechsel: Im Laden liegt ein Kind auf dem Boden und schlägt wild um sich – weil es kein Schoggistängeli bekommt.
Wer solche Situationen erlebt, dessen Kind steckt vermutlich in der Trotzphase. Eine Phase, welche die meisten Kinder zwischen 18 Monaten und vier Jahren durchleben und vor der es vielen Eltern graut. Expert*innen sprechen von der Autonomiephase. Dieser Begriff beschreibt treffend, was Kinder in dieser Zeit erleben: Sie realisieren, dass sie eine eigenständige Persönlichkeit haben. Dazu gehört auch, dass sie ihre Gefühle, Bedürfnisse und ihren eigenen Willen entdecken.
Grenzen frustrieren
Kinder wollen in dieser Zeit vieles selbst ausprobieren und möglichst unabhängig sein. Das ist aufregend, sorgt jedoch auch für Frust, da sie bei ihren Entdeckungsreisen an Grenzen stossen. Grenzen, die ihnen die Umwelt vorgibt – das runde Klötzchen passt nicht in die eckige Form. Grenzen, welche die Eltern setzen, aus Überzeugung – kein Schoggistängeli beim Einkaufen – oder um das Kind zu schützen. Und Grenzen aufgrund ihrer eigenen kognitiven, motorischen oder sprachlichen Fähigkeiten. Hinzu kommt: Die Kinder nehmen in dieser Zeit ihre Gefühle bewusster wahr. Wut, Trauer, Ärger oder Freude können sie richtiggehend überwältigen, da diese Gefühle schwer einzuordnen sind.
Strukturen und Regeln können in der Trotzphase helfen
In welchen Situationen es zu Ausbrüchen kommt, lässt sich kaum vorhersagen. Manchmal tauchen sie wie aus dem Nichts auf. Müdigkeit, Hunger oder Überforderung können sie begünstigen, und wie bei Erwachsenen ist dann auch bei Kindern die Zündschnur kürzer. Strukturen und klare Regeln können helfen, Ausbrüchen vorzubeugen. Sie bieten Kindern Orientierung. Das erste Nein zum Schoggistängeli beim Einkaufen ist frustrierend, beim zweiten und dritten Mal ist es vorhersehbar und weniger schlimm.
Wut aus Verzweiflung
Und was tut man als Eltern, wenn der Wutanfall da ist? Das Wichtigste: ruhig bleiben. Damit das gelingt, hilft es zu wissen, dass die Wut nicht gegen die Eltern gerichtet ist. Dem Kind geht es nicht darum, seinen Willen durchzusetzen, eher sind die Ausbrüche ein Zeichen der Verzweiflung. Das Kind stösst an Grenzen und ist überfordert. Wie die Forschung festgestellt hat, ist es in solchen Momenten neurologisch für das Kind nicht möglich, Worte aufzunehmen. Es bringt also wenig, auf das Kind einzureden. Wie es sich beruhigen lässt, ist vom Kind, dem Elternteil sowie der Situation abhängig. Manchen Kindern hilft körperliche Nähe, andere wollen allein sein. Eltern haben meist ein gutes Gespür dafür, was ihrem Kind guttut.
Hilfreich ist auch das Benennen der Gefühle. Wer seinem Kind sagt: «Ich sehe, du bist wütend, weil das nicht funktioniert. Das ist ärgerlich», hilft ihm, Worte für die überwältigenden Gefühle zu finden. So fühlt es sich mit all den Emotionen weniger allein und besser verstanden.

Katja Bugmann
Heilpädagogische Früherzieherin stiftungNETZ, Zweigstelle Neuenhof
Warum ist die Autonomiephase wichtig?
Die Phase ist zentral für die kindliche Entwicklung: Kinder entdecken das Ich, stellen fest, dass ihr Handeln etwas bewirkt, und spüren gleichzeitig Grenzen. Aufgrund der Ablösung von den Eltern gelingt eine Regulation der Gefühle weniger gut.
Wie können Eltern eskalierende Situationen vermeiden?
Strukturen, Klarheit und Vorhersehbarkeit sind wichtig. Idealerweise bespricht man Abläufe im Vorfeld, um auf solche Situationen vorbereitet zu sein.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein Klassiker für Konflikte ist das Einkaufen. Es kann helfen, die Situation im Vorfeld zu besprechen, indem man sagt: «Wir gehen einkaufen und kaufen nichts Süsses und kein Spielzeug.» Um das Kind miteinzubeziehen, kann es zum Beispiel zwischen einem Brötchen und einem Apfel wählen. Wichtig ist, konsequent zu bleiben. Das Kind lernt so, dass es sich auf die Eltern verlassen kann.
Der Wutanfall ist da: Was tut man als Eltern?
Zentral sind die drei K – kurz, klar, konsequent. Kurze, klare Sätze und dabei bleiben. Oft muss man die Situation mit dem Kind zusammen aushalten. Es hilft, sich in die Lage des Kindes zu versetzen und zu überlegen, was einem selbst helfen würde.
Wann sollte man sich Hilfe von einer Fachperson holen?
Wenn man merkt, dass das Kind Rückschritte in der Entwicklung macht oder sich nicht weiterentwickelt. Oder wenn man derart an seine Grenzen stösst, dass man Erziehungsmethoden einsetzt, mit denen man sich unwohl fühlt. Bei stiftungNETZ bieten wir in unserem Zuständigkeitsgebiet im Aargau ein niederschwelliges Angebot: Man kann uns unverbindlich anrufen und um eine Einschätzung oder Beratung bitten.